In der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe interpretiert ein Musikerduo die traditionelle Volksmusik Falak neu und überführt sie in die zeitgenössische experimentelle Musik. Ihre innovativen Klänge finden auch international Beachtung – so war Duo Falak im November 2024 in Berlin zu hören.
Am 6. Dezember gab das Falak-Duo im Musikinstrumentenmuseum Gurmindj sein erstes offizielles Konzert in seiner Heimatstadt Duschanbe. Die Veranstaltung war eher eine gemütliche Runde: Experimentelle Musik ist in Tadschikistan nicht gerade ein beliebtes Genre. Wenn das Duo in Duschanbe auftritt, dann vor einem Publikum, das hauptsächlich aus Freunden besteht und sich durch Mundpropaganda zusammenfindet.
Das Duo hat aber auch im Ausland Erfolg: Im November 2024 spielte es im Rahmen des VOICES Performing Art Festival sogar in Berlin, und ist sonst vor allem auf usbekischen Bühnen zu Hause. Sein erstes Album, Tira-Tira, hat es so auch bei einem Konzert in Taschkent aufgenommen. Es ist im Oktober 2023 erschienen und ist auf verschiedenen Plattformen erhältlich.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Schohin Qurbonov ist DJ und legt überall in Zentralasien auf, spielt aber auch die Dojra, ein tadschikisches Perkussionsinstrument. Denis Sorokin spielt dazu mit seiner elektrischen Gitarre, die er so stimmt, dass ihre Klänge an die heiligen Akkorde der Rubobi Pomiri erinnern.

Das übliche Programm des Duos sind etwa 40 Minuten Improvisation auf der Dojra und der elektrischen Gitarre, irgendwo zwischen Falak-Tradition und zeitgenössischer experimenteller Musik.
Genre, Stil oder Repertoire?
Eine genaue Definition von Falak gibt es nicht. Die Anthropologin und Ethnomusikologin Ariane Zévaco erklärt, dass Musiker:innen ihn oft schlicht als eine Art beschreiben, „Gott ihr Leid zu klagen“ – oder als Ausdruck der „emotionalen und spirituellen Kraft des Repertoires“. Die Grenzen zwischen Falak und anderen traditionellen tadschikischen Volksmusikstilen sind daher denkbar fließend.
Auch das Duo schlägt eine Definition vor, die sich nicht wirklich an musikalischen Elementen orientiert: „Diese Musik kommt von den Gipfeln des Pamirs und aus vorislamischen Zeiten. Deshalb wenden sich viele ihrer Sänger mit den ewigen Fragen an den Himmel: Wer sind wir? Wo sind wir? Warum leben wir?“
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Auch wenn sich die Institutionen letztlich auf eine genauere Definition und Normierung verständigt haben, geschah dies in erster Linie aufgrund einer politischen Entscheidung zur Förderung bestimmter Aspekte dieses Kulturerbes – und nicht als Ergebnis eines breiten Konsenses. Eine eindeutige Antwort auf die Frage ist ohnehin unmöglich, angesichts der Vielfalt an Praktiken in den Regionen, aus denen dieses Genre stammt – etwa aus Chatlon im Süden Tadschikistans und dem Badachschan, das sich über den Osten des Landes und Teile Afghanistans erstreckt.
Schohin erzählt gegenüber Novastan, das Duo habe erst im Prozess erkannt, dass es Falak spiele – so wie man entdeckt, dass man ganz selbstverständlich Prosa spricht: „Das Projekt nahm Gestalt an, nachdem wir mehrfach gemeinsam improvisiert hatten und verstanden, dass es im Grunde einfach eine Jam-Session war. Dann begannen wir, nach und nach Elemente des Falak einzubringen und uns der Tradition stärker anzunähern.“
Vielfältige Einflüsse
Das Duo kombiniert aber auch andere Genres und ist stark vom Free Jazz beeinflusst. „Wir haben viele musikalische Einflüsse, von Avantgarde-Jazz über Tanzmusik, afrikanische Rhythmen, zeitgenössische akademische Musik bis hin zu experimenteller Musik“, erklärt der Perkussionist im Detail.
Schohin und Denis bereichern ihre Auftritte nach und nach mit neuen instrumentalen Experimenten. Der eine legt seine Dojra manchmal beiseite und spielt Maultrommel oder improvisiert einen wortlosen Gesang; der andere erkundet die physikalischen Möglichkeiten seines Instruments: Er entlockt ihm mal futuristische Noten der mikrotonalen elektronischen Musik, mal pointierte Klänge durch unkonventionelle Plektren, etwa eines Holzstäbchens oder, warum nicht, eines Kamms. Doch wichtiger als die Wahl der Instrumente ist das grundlegende Ziel: Beim Hörer neue Empfindungen auszulösen oder gar eine Form von Spiritualität zu berühren – auch das ist ein Teil des Erbes des Falak.
„In unserer Musik gibt es weder Komposition noch Linearität. Der Hörer fließt in einem Durcheinander von Klängen und dynamischen Verknüpfungen mit. Es entsteht ein absolutes Gefühl des Eintauchens in die Musik, ein Gefühl der Trance“, erklärt der Musiker.
Tradition durchbrechen, aber ihre Essenz bewahren
Gleichzeitig bricht das Duo mit einer Reihe von Konventionen: Es verwendet keine Texte im Gesang, obwohl die Grundlage des Falaks traditionell das Vortragen eines Gedichts ist. Auch die Wahl der Instrumente und das Spielen als Duo stehen im Gegensatz zur Tradition, bei der üblicherweise alleine gesungen und von einer Dutor oder einer Rubob begleitet wird.
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Also nicht wirklich ein Genre, nicht wirklich ein Stil, sondern eher ein Repertoire: Falak ist fließend genug, dass Freigeister damit machen können, was sie wollen, und es sich zu eigen machen, sobald sie sich mit seinen Codes, seiner Tradition und/oder seiner spirituellen Dimension identifizieren. Weder der Perkussionist noch der Gitarrist stammen aus den historischen Ursprungsregionen des Falak, umso mehr steht das Duo sinnbildlich dafür, dass diese Musik zunehmend als gemeinsames kulturelles Erbe aller Tadschik:innen verstanden wird.
Das Projekt erhält keine Unterstützung von außen – „außer von Freunden, was vielleicht das Wichtigste ist“, bemerkt Schohin. Auch bei den Sänger:innen der traditionellen Volksmusik war es so, bevor sie das Interesse der Kulturpolitiker:innen weckten.
Das Duo plant derweil ein zweites Album und eine neue Auslandstournee – ein weiterer Schritt auf dem Weg, den es künstlerisch eingeschlagen hat.
Paulinon Vanackère für Novastan
Aus dem Französischen von Giulia Manca
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